„Eine Erdnussallergie ist mehr als eine bloße Unverträglichkeit“

Betroffene berichten über ihre Erdnussallergie

Die 14-jährige Milla war erst wenige Monate alt, als bei ihr eine Erdnussallergie festgestellt wurde. Dass diese Diagnose mitunter lebensbedrohliche Ausmaße haben kann, wurde ihrer Familie erst mit der Zeit bewusst. Im Interview erzählen Milla und ihre Mutter Kathrin von den Herausforderungen, die die Erdnussallergie mit sich bringt, und was sie sich für die Zukunft wünschen. Die Familie lebt in Berlin.

Bei der heute 14-jährigen Milla wurde im Alter von nur wenigen Monaten eine Erdnussallergie festgestellt.

 
 
 

Bei der heute 14-jährigen Milla wurde im Alter von nur wenigen Monaten eine hochgradige Erdnussallergie festgestellt.

Wie hat Ihre Geschichte mit Erdnussallergie angefangen?

Kathrin:  Angefangen hat es, da war Milla ungefähr acht Wochen alt. Ich habe voll gestillt und sie bekam immer wieder Ausschläge im Gesicht, die wie Schürfwunden aussahen. Trotzdem habe ich sie weitergestillt, bis Milla vier, fünf Monate alt war. Damals sagte die Hebamme, wir müssten auf jeden Fall zu einem Kinderallergologen, um zu gucken, ob es sich um eine beginnende Neurodermitis handelt. Dort wurde dann Blut abgenommen und es kam heraus, dass Milla allergisch auf Erdnuss reagiert. Der Arzt hat uns damals ein Notfall-Kit mitgegeben und gesagt, dass wir das immer dabeihaben müssen und auf Erdnüsse achten sollen. Eine richtige Aufklärung, was wir im Notfall zu tun haben, bekamen wir jedoch nicht. Wir hatten zwar die Spritze und auch Tabletten, aber die Erdnussallergie war gefühlt ziemlich weit weg für uns. Ich komme aus einer Allergiker-Familie und mir war klar, dass die Erdnussallergie über meinen Kopf weitergegeben wurde. Viele meiner Familienmitglieder haben eine Neurodermitis und Allergien. Ich reagiere allergisch auf Kiwis und Ananas, aber nicht so bedrohlich, wie es jetzt bei Milla der Fall ist.

Ihr Zuhause ist folglich eine erdnussfreie Zone?

Kathrin: Zu Hause gibt es definitiv keine erdnusshaltigen Produkte. Erdnüsse oder Flips kaufe ich nicht. Wir gehen häufig mal asiatisch essen, wenn Milla bei einer Freundin ist, und dann kommt unser Sohn mit. Ab und zu geben wir ihm Erdnussriegel in seiner Brotbox für die Schule mit. In der letzten Woche war ich für ein paar Tage mit einer Freundin in Wien. Abends waren wir bei einem Asiaten essen und im Zug habe ich mir eine Dose Erdnüsse gekauft. Wenn ich etwas mit Erdnüssen esse, dann mache ich das immer in Abwesenheit von Milla. Und wenn wir Geburtstag feiern, bin ich immer diejenige, die am liebsten selber Sachen zubereitet und backt.

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen kann es zum Kontakt mit Erdnüssen kommen. Gibt es Vorfälle, an die Sie sich erinnern?

KATHRIN: Wir hatten eine Situation, da kam ein Bekannter auf uns zu und hat die Kinder mit Handschlag („Gib mir fünf“) begrüßt. Anschließend hat sich Milla eine Erdbeere in den Mund gesteckt, wurde auf einmal ganz still und sagte: „Mama, mein Mund brennt so wie bei der Erdnussallergie.“ Da habe ich gar nicht lange gefackelt und ihr das Notfallmedikament gegeben. Im Nachhinein kam heraus, dass der Bekannte vorher eine Dose Erdnüsse gegessen hatte. Mit den Ölresten an seinen Händen hat er ihr die Hand gegeben, sie steckte sich die Erdbeere in den Mund.

Wie wurde die Erdnussallergie von Ihrem sozialen Umfeld aufgenommen?

KATHRIN: Als wir der Familie gesagt haben, dass Milla eine Erdnussallergie hat, haben alle natürlich gesagt: „Ja, wir passen auf.“ Allerdings wurden dann doch nicht immer die Verpackungen und Zutaten gelesen. Wir hatten mal die Situation innerhalb der Großfamilie, dass Brotchips offen herumlagen und Milla sich einen nehmen wollte. Sie fragte nach, ob sie das essen dürfe und ob da keine Erdnüsse drin seien. Millas Frage wurde mit einem „Ja natürlich.“ beantwortet. Auf ihre weitere Nachfrage „Aber hast du denn nachgeguckt?“ wurde mit einem „Ja, ich rieche das. Da ist keine Erdnuss drin.“ geantwortet. So ging es uns häufig, dass die Ernsthaftigkeit der Allergie nicht allgegenwärtig war. Es wurde von unserem sozialen Umfeld teilweise nicht verstanden, dass Lebensmittel, die für Milla eigentlich sicher sind, nur von einem anderen erdnusshaltigen Lebensmittel berührt werden müssen, um eine potenzielle Gefahr darzustellen. Man kann niemandem aus unserer Familie einen Vorwurf machen, aber manchmal habe ich mir gewünscht, dass alle einfach mal bei einem anaphylaktischen Schock dabei wären, damit sie die Brisanz der Erdnussallergie verstehen. Generell sollten Familienangehörige eine Notfallschulung machen, wenn klar ist, dass ein Mitglied an einer Erdnussallergie leidet.

Sind Sie der Meinung, dass besser über Erdnussallergie aufgeklärt werden müsste?

KATHRIN: Ja. Zunächst denken viele, die Erdnuss sei eine Nuss. Dann vermeidet man bei einer Allergie eben alle Nüsse. Ich betreibe dahingehend gerne Aufklärungsarbeit und schule das Umfeld. Die Erdnuss ist beispielsweise keine Nuss, sondern eine Hülsenfrucht, so wie Erbsen, Bohnen, Lupinen und Linsen. Bei der Erdnussallergie handelt es sich nicht um eine bloße Unverträglichkeit.

Hatte die Erdnussallergie auch Auswirkungen auf die Kita?

KATHRIN: Wir hatten das große Glück, dass im Kindergarten von Milla sehr auf ihre Erdnussallergie eingegangen wurde. Zum Beispiel wurde eine Köchin eingestellt, die eine Schulung von der Klinik bekam und erdnussfrei gekocht hat. Auch die Erzieher:innen wurden geschult und die anderen Eltern instruiert. Dadurch fühlte sich Milla sicher und wir uns auch. Sie musste nicht mehr nachfragen, ob irgendwo Erdnuss drin ist. 

Haben sich für Milla nach der Einschulung Herausforderungen im Zusammenhang mit der Erdnussallergie ergeben?

KATHRIN: Ja, leider. Zwar kam die Klinik auch in die Grundschule und hat Lehrer:innen vor Ort geschult, aber es wurde trotzdem etwas schwieriger für uns. Das anfängliche Entgegenkommen im Sinne von „Ja, wir werden das hier erdnussfrei machen.“ hat sich später ganz anders dargestellt. Die Lehrerin, die Milla in der ersten Klasse hatte, wollte alles gut umsetzen, hatte aber totale Angst, etwas falsch zu machen. Schlussendlich hat sich das Blatt so gewendet, dass sie Milla als Problemkind dargestellt hat und sie nach einem Jahr die Schule verlassen musste. Das war unsere erste richtig blöde Erfahrung mit Personen außerhalb der Familie. Es gab auch Situationen, in denen Milla weinend nach Hause kam, weil sie von den Mitschülern und Mitschülerinnen gemobbt wurde.

 
 
 

Wollen sich von der Erdnussallergie nicht beherrschen lassen: Milla und ihre Mutter Kathrin.

Milla, wie hast Du damals die Grundschulzeit erlebt?

MILLA:  Im ersten Grundschuljahr war ich immer irgendwie allein. Einmal beim Mittagessen habe ich mich zu einer Mädchengruppe gesetzt, weil da noch ein Platz frei war, und da haben sie gesagt, sie wünschten, dass ich sterben würde wegen meiner Erdnussallergie. Und das nur, weil sie meinetwegen keine Erdnussflips und so mit in die Schule nehmen sollten.

 

Wie bist Du nach Deinem Schulwechsel mit der Erdnussallergie umgegangen?

MILLA: Ich habe den Mitschülern von der Allergie erzählt. Erstmal haben sie gestaunt, dass ich sowas habe und was das überhaupt bedeutet. Aber dann haben sie immer darauf geachtet und waren sehr nett zu mir. 

Hat die Erdnussallergie Auswirkungen auf Deine Freundschaften?

MILLA: Ich mache sehr viel mit meiner besten Freundin, bin oft mit ihr unterwegs oder bei ihr zu Hause. Da sie Diabetes hat, haben wir beide etwas, worauf wir achten müssen. Wir unterstützen uns gegenseitig, und wenn wir bei ihr sind, dann kochen wir immer zusammen. In größeren Gruppen gibt es auch keine Probleme, weil meine Freunde alle Bescheid wissen. 

Wie machst Du das, wenn Du unterwegs bist und Lust auf einen Snack hast?

MILLA: Wenn ich zum Beispiel ins Kino gehe und Popcorn essen möchte, dann frage ich nach, ob da Spuren von Erdnüssen enthalten sein könnten. Oder ob das Popcorn mit Erdnussöl gemacht wurde. Mein Notfall-Kit habe ich eigentlich immer dabei. Manchmal vergesse ich es auch, aber dann esse ich einfach nichts. 

Wie verhält es sich, wenn Sie in den Urlaub fahren wollen?

KATHRIN: Ganz zu Anfang, als Milla noch klein war, sind wir nur dorthin geflogen, wo wir uns sicher fühlten. Idealerweise Europa, wir waren oft in Spanien oder Italien. Vorher haben wir uns informiert, wie die Airlines mit erdnusshaltigen Speisen oder Snacks umgehen, und angemeldet, dass Milla eine Erdnussallergie hat. Auch das Notfall-Kit haben wir immer angemeldet und eine englischsprachige Bescheinigung vom Arzt eingeholt, damit klar war, dass eine Spritze mit an Bord genommen werden darf. Mein Mann und ich sind sehr große Asien-Fans, was aber eigentlich immer ein No-Go wegen Millas Erdnussallergie war. Vor zweieinhalb Jahren haben wir uns dennoch dafür entschieden und sind als Familie nach Thailand geflogen. Wir haben uns einen Bungalow für Selbstversorger gemietet und haben vor Ort in den Supermärkten eingekauft. Dazu haben wir aus Deutschland sicheres Müsli mitgenommen. Milla hat im Flieger sogar erdnussfreies Essen bekommen. Es bedeutet vorab viel Organisation und eine detaillierte Reiseplanung. Aber: Die Erdnussallergie soll uns nicht beherrschen, sondern wir beherrschen sie. Das ist eigentlich mittlerweile unser Motto.

Milla, was würdest Du anderen Kindern mit Erdnussallergie mit auf den Weg geben?

MILLA: Dass sie nicht darauf hören sollen, wenn andere sie wegen ihrer Allergie ärgern. Und dass sie immer das Notfall-Kit mitnehmen sollen.

Wir danken für dieses Gespräch.